Ratgeber Wissenschaftslektorat: Sprache und Stil
Im ersten Artikel zur Wahl der richtigen Zeitform ging es um die Frage, ob das Präsens wirklich das Nonplusultra für wissenschaftliche Arbeiten ist. Im Folgenden beschreibe ich, welche Zeitform sich für welchen Teil einer Bachelor- oder Masterarbeit anbietet.
Einleitung
Präsens: In der Einleitung Ihrer Arbeit verwenden Sie überwiegend Präsens, zum Beispiel wenn Sie Ihre Themenwahl begründen oder das Ziel und die Ergebnisse Ihrer Arbeit beschreiben:
„Seit Jahren beschäftige ich mich mit Hunden. Dabei zeigt sich, dass gerade Pudel in der tiergestützten Therapie noch zu wenig zum Einsatz kommen. Auf Basis meiner Erfahrungen gehe ich davon aus, dass Pudel hierfür sehr gut geeignet sind. In meiner Arbeit möchte ich herausfinden, ob das tatsächlich der Fall ist. Um diese These zu untersuchen, gehe ich wie folgt vor: Zunächst beschreibe ich den theoretischen Hintergrund des Themas. Anschließend gehe ich auf die Durchführung meiner Interviewstudie ein. Im letzten Kapitel fasse ich die wichtigsten Ergebnisse zusammen und gebe einen Ausblick auf Fragen, die offengeblieben sind.“
Statt: Darauf gehe ich im Folgenden näher ein oder: Darauf wird im Folgenden näher eingegangen können Sie auch schreiben: Darauf soll im Folgenden näher eingegangen werden. Das Modalverb sollen wird recht häufig in Abschlussarbeiten für solche Ankündigungen verwendet. Meines Erachtens klingt es aber etwas zaghaft und unbestimmt (und man könnte etwas spitzfindig auch fragen: Soll das nur gemacht werden oder wird es tatsächlich getan?). Klarer und entschiedener sind Formulierungen wie: Darauf gehe ich noch näher ein oder: Darauf wird im Folgenden näher eingegangen.
Präteritum oder Perfekt bietet sich hingegen an, wenn Sie Ihr Thema in eine bestehende Forschungstradition einordnen möchten. Das kann so klingen: Bislang wurden nur wenige Studien zu diesem Thema durchgeführt. (Präteritum) Oder so: Erstmalig hat Marlies Müller den Einsatz von Hunden in Kindergärten untersucht. (Perfekt) In der Regel werden Sie dann wieder zum Präsens zurückkehren, zum Beispiel so: Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, die bestehenden theoretischen Erkenntnisse empirisch zu untersuchen.
Literaturübersicht
Präsens: Auch in der Literaturübersicht verwenden Sie über weite Strecken Präsens. Denn hier beschreiben Sie die verschiedenen Meinungen oder Forschungsstränge, die es in der Literatur gibt.
„In der Literatur finden sich Stimmen, denen zufolge Pudel gut für den Einsatz in Kitas geeignet sind. Allen voran ist hier Dreyer zu nennen. Er geht in seiner Arbeit ausführlich auf dieses Thema ein. Andere hingegen sind der Ansicht, dass es bei der tiergestützten Pädagogik nicht auf die Hunderasse ankommt. Als bekannter Vertreter dieser Richtung lässt sich Schulze benennen. Festzuhalten ist, dass es diesbezüglich in der Literatur keinen Konsens gibt.“
Präteritum: Wenn Sie aber die Literatur nicht systematisch nach Forschungssträngen geordnet vorstellen, sondern chronologisch (um die Entwicklung der Forschung aufzuzeigen), verwenden Sie üblicherweise Präteritum. Denn diese Zeitform wird üblicherweise für Abläufe verwendet, die in der Vergangenheit liegen und heute abgeschlossen sind (ich kam, sah, siegte).
Material und Methoden / Durchführung einer Studie
Für die Beschreibung von Material und Methoden verwenden Sie üblicherweise Präteritum, da Ihre Untersuchung in der Vergangenheit durchgeführt wurde: Dabei wurden 15 Kinder zu ihren Eindrücken befragt. Auch Perfekt ist möglich: An der Befragung haben 15 Kinder teilgenommen.
Präteritum oder Perfekt? Im Deutschen sind die Zeitformen nicht so scharf voneinander getrennt wie in anderen Sprachen. Oft wird intuitiv Perfekt bevorzugt, weil dies die Zeitform ist, die üblicherweise in der gesprochenen Sprache verwendet wird: Ich habe gerade eine Studie durchgeführt. Für längere Darstellungen von Dingen, die heute abgeschlossen sind, bietet sich aber eher Präteritum an: Ich tat dies, machte das, versuchte jenes.
Wenn Sie die Durchführung einer Studie ausführlich beschreiben, können Sie dies auch im Präsens tun. Dies wirkt näher dran am Geschehen:
„Beim Betreten des Raumes nimmt Kind A spontan Kontakt zu dem Hund auf. Kind B dagegen setzt sich abwartend an den Tisch. Kind A streichelt den Hund und geht danach zu Kind B an den Tisch.“
Präsens verwenden Sie auch, wenn Sie auf Tabellen und Abbildungen verweisen: Die folgende Abbildung verdeutlicht die genannten Zusammenhänge.
Ergebnisse und Diskussion
Für die Beschreibung der Ergebnisse Ihrer Untersuchung ist ebenfalls Präteritum üblich, sofern diese Handlungen in der Vergangenheit passiert sind: Acht Kinder zeigten eine lebhafte Interaktion mit dem Hund. Vier von ihnen gaben später an, dass ihnen die Stunde sehr gefallen habe.
Zwischendurch werden Sie vermutlich Dinge schildern, die von überzeitlicher Gültigkeit sind. Hierfür verwenden Sie Präsens, wobei diese Zeitform in einem Satz durchaus mit einer anderen Zeitform (wie Präteritum) kombiniert werden kann: Dies lässt darauf schließen, dass sie viel Spaß hatten. So ergibt sich manchmal ein rascher Wechsel der Zeitformen.
Zusammenfassung und Fazit
Für die Zusammenfassung verwenden Sie Präteritum, wenn Sie auf den Gang der Untersuchung zurückblicken, oft kombiniert mit Präsens: Im Theorieteil wurde dargelegt, dass die tiergestützte Pädagogik auf eine längere Tradition zurückblicken kann. Im empirischen Teil konnte gezeigt werden, dass sich dadurch Chancen für die Kleinkindpädagogik bieten. Auch Perfekt in Verbindung mit Präsens bietet sich an, gerade für ein abschließendes Resümee: Die vorliegende Studie hat ergeben, dass dadurch wichtige Impulse gesetzt werden können.
Ein abschließendes Fazit wird meist im Präsens geschrieben. Denn hier geht es um die Ergebnisse, die von überzeitlicher Gültigkeit sind: Festgehalten werden kann, dass die tiergestützte Pädagogik ein wichtiger Bestandteil moderner Pädagogik ist.
Für einen Ausblick in die Zukunft bietet sich Futur an: Es ist zu hoffen, dass diese Erkenntnisse in Zukunft weiter gefestigt werden.
Abstract
Auch ein Abstract wird meist im Präsens geschrieben: Die vorliegende Studie beschäftigt sich mit … Dabei zeigt sie … Aber: Um diese Frage zu beantworten, wurde eine Untersuchung durchgeführt. Auch hier wird für die Untersuchung, die bereits abgeschlossen ist, Präteritum verwendet. Es kommt somit auch im Abstract auf den Kontext an.
Tipps aus dem Lektorat
Manchmal ist mir nicht klar, ob ein im Präsens formulierter Satz eine allgemeine Beobachtung wiedergibt oder sich auf die durchgeführte Untersuchung bezieht. Das ist zum Beispiel bei diesem Satz der Fall: Kinder sind neugierig, wenn sie sehen, dass ein Hund im Raum ist. Beschreibt der Satz (1) eine pauschale Feststellung, (2) eine These aus der Literatur oder (3) eine Beobachtung aus Ihrer eigenen Studie?
Bei einem solchen Satz sollte deutlich werden, was Sie genau meinen. Sie könnten zum Beispiel schreiben: (1) Allgemein sind Kinder neugierig, wenn … (solche pauschalen Thesen sollten jedoch nur unter Vorbehalt verwendet werden) – (2) Laut Dreyer (2015, 22) sind Kinder üblicherweise neugierig, wenn sie einen Hund im Raum sehen. – (3) In meiner Studie hat sich gezeigt, dass die Kinder durchweg neugierig waren, wenn sie sahen, dass ein Hund im Raum war. (Bei diesem Rückblick auf Ihre Studie sollte Perfekt und/oder Präteritum verwendet werden.)
Versuchen Sie außerdem, in einem Absatz nicht zu häufig zwischen den Zeiten (vor allem Präteritum und Präsens) zu wechseln. Denn dies ist beim Lesen irritierend. Ein schneller Wechsel der Zeiten könnte sich zum Beispiel bei der Beschreibung der Ergebnisse einer Studie ergeben, wie hier: Die meisten Befragten wählten die Möglichkeit A. (Präteritum: Sie wählten dies in der Studie, die bereits abgeschlossen ist.) Das zeigt, dass sie diese Möglichkeit gut finden. (Präsens, denn das ist ein überzeitlich gültiges Ergebnis: Sie halten es auch jetzt noch für gut.) Andere wiederum wählten Möglichkeit B. Sie verdeutlichen damit, dass sie diese Möglichkeit bevorzugen. Hier wird für jeden Satz eine andere Zeitform gewählt.
In diesem Fall könnten Sie wie folgt vorgehen: Verwenden Sie zunächst durchweg Präteritum, zum Beispiel so: Die meisten Befragten wählten Möglichkeit A und zeigten damit, dass sie diese Möglichkeit gut fanden. Andere wiederum wählten Möglichkeit B und drückten damit ihre Präferenz hierfür aus.
In einem neuen Absatz fassen Sie dann die zentralen Ergebnisse zusammen, und zwar im Präsens: Insgesamt zeigt sich, dass Möglichkeit A auf die größte Zustimmung trifft. Möglichkeit B ist aber für viele der Befragten eine interessante Variante.
Gern unterstütze ich Sie im Rahmen eines Lektorats Ihrer Masterarbeit oder Dissertation bei der Umsetzung dieser Empfehlungen.
© Dr. Anette Nagel. Artikel zuletzt bearbeitet im Juni 2025.