Mehrere Jahre ist die Plagiatsaffäre um den damaligen Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg nun her. Das Thema hat seitdem nichts an Aktualität verloren. Kaum eine Universität, die nicht dazu Stellung nimmt, was Studierenden im Falle eines aufgedeckten Plagiates droht – und kaum ein Doktorand, der nicht weiß, dass es zu den wissenschaftlichen Todsünden gehört, wörtliche oder sinngemäße Zitate nicht zu belegen.
Daher erscheint es schwer vorstellbar, dass auch heute noch eine Studentin Textpassagen wörtlich in ihrer eigenen Arbeit verwendet, ohne sie als direktes Zitat zu kennzeichnen, oder dass ein Doktorand die Erkenntnisse einer eher unbekannten Verfasserin als eigene Schlussfolgerungen ausgibt. Ein Plagiat liegt ja bekanntlich nicht nur dann vor, wenn Textpassagen wörtlich aus einer Arbeit einer anderen Person übernommen werden, ohne dies kenntlich zu machen, sondern auch dann, wenn sinngemäß etwas übernommen wird, ohne darauf hinzuweisen.
Definition von Plagiat
Nach fast allen Definitionen von Plagiat steht hinter der Tätigkeit des Plagiierens eine Absicht: Es handelt sich um ein bewusstes, vorsätzliches Täuschen über die wahre Autorenschaft einer Textpassage oder einer Erkenntnis. Der Duden bezeichnet ein Plagiat als eine „unrechtmäßige Aneignung von Gedanken, Ideen o. Ä. eines anderen auf künstlerischem oder wissenschaftlichem Gebiet und ihre Veröffentlichung; Diebstahl geistigen Eigentums“. Ein Diebstahl kann nur absichtlich geschehen, nicht aus Versehen.
Nun ist es aber schwierig, einer Person einen solchen Vorsatz nachzuweisen. Denn viele wörtliche oder sinngemäße Übereinstimmungen können auch ohne Absicht zustande kommen: Was, wenn ich in meiner Arbeit einen Gedanken präsentiere, den auch jemand anders formuliert hat, ohne dass ich dessen Arbeit kenne? Was, wenn ich nicht mehr weiß, ob ich auf eine bestimmte Idee durch eigene Überlegung gekommen bin oder sie in der Literatur (aber welcher?) gefunden habe? Was, wenn ich mich so intensiv ins Thema eingelesen und die gängigen Formulierungen so verinnerlicht habe, dass mein eigenes Schreiben wie ein Aufsatz aus der Literatur klingt und jemand deshalb hier ein Plagiat vermuten wird? Und muss eine Allerweltsformulierung wie „Hieraus ergibt sich …“ als wörtliches Zitat gekennzeichnet werden? Oder muss ich auch schlichte Sachverhalte wie den Aufbau des föderalen Systems in Deutschland immer auf eine bestimmte Quelle zurückführen? (Auf solche Fragen geht übrigens dieser Blogbeitrag genauer ein.)
Umgang mit dem Plagiat im Wissenschaftslektorat
Diese Unsicherheit ist wohl der Hauptgrund, weshalb meine Kundinnen und Kunden eine Plagiatsprüfung in Auftrag geben. Sie möchten auf Nummer Sicher gehen und alle nicht belegten Stellen finden – bevor es die Hochschule tut.
Manchmal stoße ich im Rahmen des Lektorats selbst auf Stellen, von denen ich vermute, dass sie aus anderen Texten stammen: zum Beispiel wenn Einleitung und Fazit recht holprig klingen, die anderen Kapitel aber (zu) elegant formuliert sind. An solchen Stellen füge ich einen Kommentar ein: Vielleicht hat die Kundin hier vergessen, einen Quellenbeleg einzufügen? Wie die Kundin damit umgeht, ist dann ganz ihre Entscheidung.
Auch wenn ich nach der Plagiatsprüfung den Plagiatsbericht an die Kundinnen und Kunden schicke, kommentiere ich dies nicht – selbst dann nicht, wenn es zeigt, dass der Text zu einem großen Teil aus nicht gekennzeichneten Zitaten besteht. Mein Job ist es, einen Text Korrektur zu lesen, zu lektorieren oder zu formatieren – nicht aber, den moralischen Zeigefinger zu heben. Meine Arbeit basiert auf Respekt und Wertschätzung der Texte, die ich zur Durchsicht erhalte. Ich gehe davon aus, dass meine Kunden ihre Texte sorgsam erstellt und alle zitierten Stellen als solche kenntlich gemacht haben. Die Plagiatsprüfung hilft, dies sicherheitshalber noch einmal zu überprüfen und eventuellen Nachbearbeitungsaufwand rechtzeitig zu erkennen. In meiner Lektoratsarbeit enthalte ich mich einer Stellungnahme zu Plagiaten.
Das klingt, als stünde ich dem Thema Plagiate nüchtern und emotionslos gegenüber. Das ist jedoch nicht der Fall.
Ärger mit dem Plagiat – Ideenklau im Internet
Nichts ist ärgerlicher, als wenn man seine eigenen Gedanken an anderer Stelle liest – ohne Verweis auf seinen Namen. Denn viel Arbeit, Sorgfalt und Herzblut stecken nicht nur in einer wissenschaftlichen Arbeit, sondern auch im Text einer Homepage, in der Entwicklung einer Systematik einer Webseite, in der Erarbeitung (und Bezahlung) eines Designs und Ähnlichem. Umso ärgerlicher ist es auch hier, wenn man dies zum wiederholten Male bei Mitbewerbern wiederfindet – geschickt so minimal geändert, dass für Außenstehende nicht erkennbar ist, von wem das Original und von wem die Fälschung stammt (zumal Internetseiten, anders als gedruckte Texte, auf den ersten Blick kaum datierbar sind). Selbst einige unserer Kundenreferenzen fanden meine Kollegin und ich in leicht abgewandelter Form, aber für uns eindeutig erkennbar auf anderen Webseiten wieder.
Diese Dreistigkeit macht mich fassungslos. Die Fülle der eigenen Erkenntnisse und Erfahrungen als Essenz zusammengefasst (auf den Internetseiten) verschriftlichen oder (im Gespräch) vermitteln zu können – das macht doch erst ein authentisches Angebot aus. Ich hoffe, dass meine potenziellen Kundinnen und Kunden auch in Zukunft Original und Fälschung unterscheiden können!
© Dr. Anette Nagel. Artikel erschienen im Mai 2016, aktualisiert im Januar 2022.