Irrealis, Faktizität, irreale Aussage‑, Wunsch- und Finalsätze – diese Begriffe tauchen in vielen Artikeln zum richtigen Gebrauch von Konjunktiv und indirekter Rede auf. Das macht wenig Mut, sich mit diesem Thema zu beschäftigen. Dieser Beitrag zeigt: Es geht auch anders!
Zur Bildung von Konjunktiv I und II
Am Gebrauch von Konjunktiv und indirekter Rede führt in einer wissenschaftlichen Arbeit kein Weg vorbei. Leider – sagen Sie vielleicht. Es gibt jedoch eine gute und eine schlechte Nachricht. Die gute Nachricht ist: Es ist nicht so kompliziert, wie es auf den ersten Blick erscheint. Denn vieles davon ist für das Schreiben Ihrer Arbeit gar nicht relevant. Sätze wie: Möge das Fazit bald erreicht sein oder Wenn ich in Statistik besser aufgepasst hätte, hätte ich meine Hypothesen doch noch belegen können werden in Ihrer Arbeit (hoffentlich) nicht auftauchen. Im Folgenden beschreibe ich, was Sie zu diesem Thema wissen sollten, wenn Sie gerade eine wissenschaftliche Arbeit – ob Bachelorarbeit, Masterarbeit oder Dissertation – verfassen.
Die schlechte Nachricht ist: An etwas Theorie kommen wir nicht vorbei. Das geht aber kurz und knapp.
Es gibt zwei verschiedene Formen des Konjunktivs:
- Der Konjunktiv I wird vom Infinitiv abgeleitet (sein → sie sei; haben → sie habe usw.).
- Der Konjunktiv II wird vom Präteritum abgeleitet, wobei oft ein Umlaut (ä, ö, ü) dazukommt: sie hatte → sie hätte; er konnte → er könnte usw.
Der Konjunktiv II hat viele recht ungebräuchliche Formen: ich hülfe, führe, läse usw. In der Umgangssprache wird er deshalb oft mit würde gebildet: Ich würde fahren, sie würde lesen usw. In der geschriebenen Sprache sollten Sie aber auf würde möglichst verzichten. Meine Deutschlehrerin sagte (lang, lang ist’s her …), der deutsche Konjunktiv sei würde-los. „sei“ ist übrigens Konjunktiv I und indirekte Rede – und damit sind wir schon mitten im Thema: dem praktischen Gebrauch des Konjunktivs.
Zum Gebrauch der indirekten Rede in einer wissenschaftlichen Arbeit
An der Verwendung der indirekten Rede kommen Sie nicht vorbei. Denn das ist das A und O des wissenschaftlichen Schreibens: Sie müssen genau abgrenzen, was Ihre eigene Ansicht und was die Ansicht anderer Personen ist. Das sollte bei jedem Satz eindeutig erkennbar sein.
Als Grundregel haben Sie vermutlich gelernt: Für die indirekte Rede wird der Konjunktiv I verwendet. Das gilt zum Beispiel in diesem Satz: Marlies Müller sagt: „Ich habe damit gute Erfahrungen gemacht.“ → Sie sagt, sie habe damit gute Erfahrungen gemacht.
Statt: Sie sagt, sie … können Sie auch sagen: Sie sagt, dass sie … In diesem Fall haben Sie folgende zwei Möglichkeiten:
- Indikativ: Sie sagt, dass sie damit gute Erfahrungen gemacht hat. In diesem Fall gehen Sie davon aus, dass Müller damit wirklich gute Erfahrungen gemacht hat.
- Konjunktiv I: Sie sagt, dass sie damit gute Erfahrungen gemacht habe. In diesem Fall lassen Sie offen, ob Müller damit wirklich gute Erfahrungen gemacht hat oder nicht. Sie drücken also eine gewisse Distanz zu Müllers Aussage aus.
In der Praxis (und erst recht in der gesprochenen Sprache) kommt der Indikativ bei dass-Sätzen häufiger vor als der Konjunktiv. Gerade wenn Sie statt sagen ein Verb wie klarstellen, nachweisen oder verdeutlichen verwenden, passt eigentlich nur der Indikativ: Er weist nach, dass die Erde rund ist. Hier ist kein Zweifel – und damit kein Konjunktiv – angebracht.
Ein solcher Satz ist kaum noch als indirekte Rede aufzufassen. Denn diese ist gerade dadurch gekennzeichnet, dass Sie im Hauptsatz ein Verb wie meinen, glauben oder darstellen verwenden und im Nebensatz die Ansicht der jeweiligen Person wiedergeben. Durch Verwendung des Konjunktivs I in der indirekten Rede können Sie (müssen es aber nicht) Ihre Distanz zum Wiedergegebenen verdeutlichen (vgl. dazu Gesellschaft für deutsche Sprache e. V., Indirekte Rede).
Auch in Ihrer wissenschaftlichen Arbeit können Sie bei dass-Sätzen durchaus den Indikativ verwenden, es sei denn, Sie zweifeln am Wahrheitsgehalt oder möchten die Aussage ausdrücklich als subjektive Ansicht der anderen Person kennzeichnen, zum Beispiel: Sie führte aus, dass dies ein schwieriges Problem sei.
Sicherlich kommen nach dem Satz Müller sagt, dass sie damit gute Erfahrungen gemacht hat noch weitere Sätze. Wie verhält es sich hier mit Konjunktiv I und Indikativ? Hier gibt es zwei Möglichkeiten:
(1) Entweder wird weiterhin die Meinung von Marlies Müller beschrieben. Dann verwenden Sie wieder Konjunktiv I: Denn diese Methode habe sich als sehr sinnvoll erwiesen. So sei es leicht, die Kinder zum Mitmachen zu motivieren. Bei gängigen Methoden hingegen könne es zu Langeweile kommen (das alles ist Müllers Ansicht).
In diesem Fall wird vielleicht über längere Passagen hinweg der Konjunktiv I verwendet. Das ist korrekt, kann aber sprachlich umständlich und daher gestelzt klingen. Wie Sie hier den Konjunktiv umgehen können (also Indikativ verwenden können und trotzdem eindeutig kennzeichnen, dass Sie die Meinung von Marlies Müller wiedergeben), lesen Sie im zweiten Beitrag zum Konjunktiv.
(2) Oder aber Sie beschreiben danach Ihre eigene Ansicht. Dann verwenden Sie Indikativ: Müller sagt, dass sie damit gute Erfahrungen gemacht hat. Dies kann man auch anders sehen. Hier verdeutlicht der Indikativ kann, dass dies Ihre eigene Meinung ist. Alternativ könnten Sie auch noch verdeutlichende Begriffe oder Formulierungen wählen wie: Dies kann man hingegen auch anders sehen. oder: Meiner Ansicht nach kann man dies auch anders sehen.
Der inhaltliche Unterschied zwischen Konjunktiv I und Konjunktiv II
Sie können also schreiben: Sie sagt, sie habe damit gute Erfahrungen gemacht. (Konjunktiv I) In der Praxis wird jedoch statt habe oft hätte verwendet: Sie sagt, sie hätte damit gute Erfahrungen gemacht (Konjunktiv II). Achtung: Dieser Satz besagt inhaltlich nun etwas völlig anderes, nämlich dass sie damit tatsächlich noch keine guten Erfahrungen gemacht hat!
Konjunktiv I und Konjunktiv II bringen in diesem Fall etwas Gegensätzliches zum Ausdruck. Konjunktiv I (sie habe) verdeutlicht, dass Müller damit gute Erfahrungen gemacht hat (wie sie sagt). Der Konjunktiv II hingegen drückt aus, dass dies nicht der Fall ist. Marlies Müller hätte aber gute Erfahrungen gemacht, wenn noch etwas anderes der Fall gewesen wäre: wenn sie zum Beispiel mehr Zeit gehabt hätte, sich damit zu befassen. Der Konjunktiv II wird auch als Irrealis bezeichnet: Er wird in der Regel für irreale, hypothetische, nicht real vorliegende Gegebenheiten verwendet.
Formen wie hätte, könnte, würde (Konjunktiv II) verweisen hier also auf Optionen, die nur theoretisch bestehen: Ich würde mich gern damit befassen, wenn ich nur Zeit hätte. – Es könnte alles so einfach sein. Aktuell habe ich aber keine Zeit und es ist alles nicht so einfach.
Die Tücken von Konjunktiv I und II
Leider ist es im Deutschen oft wirklich nicht so einfach. Wie erwähnt hat der Konjunktiv II manchmal sperrige und ungewöhnliche Formen (läse, läge, löge). In diesem Fall sollte man auf würde + Infinitiv ausweichen. Wenn also die deutsche Sprache einfacher wäre, dann gewönne man viel – oder würde viel gewinnen. In der gesprochenen Sprache kommen würde-Konstruktionen oft vor. In wissenschaftlichen Texten wird hingegen Konjunktiv II tendenziell häufiger verwendet. Sie können aber auch hier auf würde + Infinitiv zurückgreifen.
Der Konjunktiv II wird nicht nur dann verwendet, wenn etwas Irreales ausgesagt werden soll, sondern auch, wenn etwas anderes gegeben ist. Greifen wir den Satz von oben auf (Müller sagt, sie habe damit gute Erfahrungen gemacht) und nehmen wir neben Marlies Müller nun noch Miriam Meier dazu, dann heißt es: Die Autorinnen sagen, sie haben damit gute Erfahrungen gemacht. Hier ist die Form der indirekten Rede (sie haben) nicht vom Indikativ des Aussagesatzes (wir haben) zu unterscheiden. Und wenn das so ist, dürfen oder sollten Sie auf den Konjunktiv II ausweichen, um deutlich zu machen, dass Sie die Ansicht der beiden Autorinnen wiedergeben, nicht Ihre eigene. Dann heißt es: Die Autorinnen sagen, sie hätten damit gute Erfahrungen gemacht.
Leider wird nun auch nicht mehr klar, ob die Autorinnen damit tatsächlich gute Erfahrungen gemacht haben oder ob sie diese nur gemacht hätten, wenn noch etwas anderes der Fall gewesen wäre. Dies können Sie nur durch weitere Beschreibungen verdeutlichen: Sie sagen, sie hätten damit erneut gute Erfahrungen gemacht. – Sie sagen, sie hätten damit vermutlich gute Erfahrungen gemacht, wenn nur die Hunde besser mitgemacht hätten.
So viel zunächst zum Konjunktiv. Vielleicht denken Sie immer noch: Wie komme ich bloß am Konjunktiv vorbei? Vielleicht, indem Sie den zweiten Beitrag dieses Ratgebers zum Konjunktiv lesen: „Wie kann ich den Konjunktiv umgehen?“ Dort finden Sie auch konkrete Formulierungsvorschläge zum Konjunktiv für Ihre Bachelor- oder Masterthesis – denn ganz ohne Konjunktiv geht es nicht.
© Dr. Anette Nagel. Artikel erschienen im Januar 2018, zuletzt bearbeitet im Mai 2023.